Warum es unmessbar bleibt - das Paradies

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Warum es unmessbar bleibt - das Paradies

30.11.2011 | 17:00 |  (wirtschaftsblatt.at)

Krisen und Naturkatastrophen machen immer wieder deutlich, dass das BIP oft zu kurz greift. Was nicht gemessen wird, wird ignoriert.

Es gibt eine Situation, in der Ökonomen bei der Messung der ökonomischen Leistung durch das BIP stets in Erklärungsnotstand geraten: Unmittelbar nach dem Eintreten von großen Katastrophen. Zuletzt war das der Fall, als Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker, gefragt nach den Auswirkungen von Fukushima, ausführlich erklären musste, dass durch den Unfall „die Produktion steigen wird, nicht aber der Wohlstand." Damit versuchte er, den Widerspruch zwischen den positiven Effekten auf das BIP und persönlichen Tragödien sowie Wohlstandsverlusten aufzulösen.


Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren die Diskussion darüber, ob das BIP noch ein zeitgemäßer Kompass ist, intensiviert. Dieses Aggregat wurde als Messeinheit der Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg entwickelt - was erklärt, warum ein Rückgang des nationalen Wohlstands zur Steigerung der Wirtschaftsleistung führen kann. Problematisch ist aber auch die Erfassung aller schleichenden Katastrophen, die sich etwa in der Verschlechterung von Luft- und Wasserqualität, Tier- und Artensterben oder der massiven Verwüstung von Urwäldern manifestieren.


Schwierige Quantifizierung von Schäden an Natur und Umwelt

Das Problem mit der Einberechnung solcher Schäden ist die schwierige Quantifizierbarkeit von Schäden an Natur und Umwelt. Das sehen auch einflussreiche Wirtschaftspolitiker wie der ehemalige Wirtschaftsberater von Bill Clinton, Robert Prescott, so, der bei seinem vergangenen Wien-Besuch zu dem Thema meinte: „Nachhaltigkeit ist natürlich enorm wichtig. Das Problem bei der Einbeziehung in die ­Politik ist jedoch die wissenschaftliche Messbarkeit", erklärte der Ökonom mit persönlicher und akademischer Nähe zu Nobelpreisträger ­Joseph Stiglitz.


Laut einem Paper des Schweizer Ökonomen-Gespanns Bruno Frey und Alois Stutzer wird die Messung auch deshalb nicht unbedingt einfacher, da der Mensch kein Homo Oeconomicus ist, sondern „kurzfristiger handelt, als er eigentlich sollte". Das führt zu nicht rationalem Verhalten und der „Fehleinschätzung mancher Güter". Daraus würde sich erklären, wieso materieller Wohlstand nicht notwendigerweise mit dem persönlichen Glücksempfinden korreliert. Bedient man sich etwa der statistischen Instrumente von World Value Survey, geben in Großbritannien und Kolumbien gleichermaßen 50 Prozent der Befragten an, „sehr glücklich" zu sein.


Eine weitere Schwierigkeit bei der Vermittlung des von Frey und Stutzer angeführten „Lebenszufriedenheitsansatzes" ist die Darstellbarkeit. So ist die grafische Lösung der New Economics Foundation punkto Lebensqualität (s. Grafik rechts) auf den ersten Blick übersichtlich. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass ein Vergleich von mehr als drei Ländern unübersichtlich wird - von der Darstellung einer Zeitreihe ganz zu schweigen.


Das Netto-BIP

Ein interessanter, bereits vorhandener Ansatz zur Messung schwer definierbarer ökonomischer Einflüsse ist der GPI (Genuine Progress Indicator). Der aus dem ISEW (Index for Sustainable Economic Welfare) hervorgegangene Indikator kann als Nettowert bezeichnet werden, der den Einkünften Kosten gegenüberstellt - den Verlust an Agrarland und Feuchtgebieten, Umweltverschmutzung oder den Zerfall von Familienstrukturen. Dementsprechend weist das US-GPI der vergangenen 50 Jahre eine weniger dynamische Entwicklung als das US-BIP desselben Zeitraumes aus. Dieser Index erklärt auch das weitverbreitete Phänomen steigender BIP-Zahlen, während sich die Bevölkerung gleichzeitig weniger wohlhabend fühlt. Durchgesetzt hat sich diese Messung jedoch nicht. Versandet scheint auch die Initiative „Beyond GDP" zu sein.

Unter diesem Projekttitel hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy Ökonomen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz um sich geschart. Die Ergebnisse liegen seit vorigem Jahr vor (www.beyond-gdp.eu) - spätestens das Wiederaufflammen der Wirtschaftskrise hat das Interesse der Öffentlichkeit aber wieder auf andere, virulentere Probleme gelenkt.
Womit sich die Wirtschaftspolitik nach wie vor am althergebrachten, die Kriegsproduktion erfassenden BIP orientiert und andere, zeitgemäßere Anforderungen weiterhin auf Jahre hinaus vernachlässigt werden dürften.

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